Die Art und Weise, in der ein politisches Konsortium die vermeintliche Nachbesserung der HARTZ IV-Regelsätze verkündete, war enthüllend. Sowohl von Regierungsseite als auch aus dem sozialdemokratischen Kanon wurden die erzielten Verbesserungen mal als eine Aktion der mildtätigen Anteilnahme und mal als ein revolutionärer Akt der Chancengleichheit gepriesen. Mit dem eigentlichen Problem, das sich hinter der massenhaften Alimentierung von Bürgern und deren Familien verbirgt, die keinen Zugang mehr zum Arbeitsmarkt mehr bekommen, hat beides gar nichts zu tun.
Kein Staat der Welt kann die wachsende Verarmung derer, die keine Arbeit finden, mit seinen dirigistischen Mitteln auf Dauer befriedigend lösen. Das Dilemma ist in der Republik seit Jahrzehnten bekannt. Entweder sind die Sätze zu gering und die Staatskassen zu klamm, oder das Leistungsgefüge zwischen denen, die arbeiten und denen, die alimentiert werden, gerät gewaltig in Schieflage. Das Problem liegt jedoch woanders.
Der globalisierte Markt hat ein Konkurrenzsystem geschaffen, das von den qualifizierten bis zu den nicht qualifizierten Arbeitskräften reicht. Es existieren seit Jahren große Kohorten von Berufsgruppen und Ungelernten, die in der freien Konkurrenz der Märkte in den Metropolen nie wieder Arbeit finden werden. Es ist die Aufgabe von Politik, mit diesem Faktum umzugehen. Es muss darüber gesprochen werden, welche Folgen die Erosion von Bildung in diesem Land hinterlassen hat und es ist eine Art Marshallplan erforderlich, der sowohl die Wegmarken einer kollektiven Anhebung von Bildung und Qualifizierung beschreibt als auch aufzeigt, wie die momentan Arbeitslosen durch Arbeit in einen analogen Prozess kommen. Es sind Bündnisse und Initiativen notwendig, die eine solche duale Planung und Realisierung ermöglichen.
Da darf es keine Tabus geben und private wie etatistische Programme können durchaus nebeneinander existieren. Die gegenwärtige, kollektiv von der Politik betriebene Verschleierung der Tatsache, dass eine Vollbeschäftigung durch das Wirtschaftssystem nicht erreicht werden kann, ist nicht nur eine kollektive Lebenslüge, sondern gleichzeitig die Garantie für die beklagten Verhältnisse.
An keinem Beispiel lässt sich besser belegen, inwieweit die gegenwärtigen politischen Muster angewiesen sind auf eine immer größer werdende Abhängigkeit und Unselbständigkeit großer Gruppen der Bevölkerung. Politik speist sich aus der systematisch betriebenen Entmündigung großer Bevölkerungsgruppen, die immer weniger für sich sorgen können.
Nichts ist erregender als die Wahrheit. Dieses geflügelte Wort Egon Erwin Kischs beweist sich wieder als treffend. Die Arbeitslosen brauchen Arbeit und keine Megären, die sich in hysterisch-weinerlichen Tönen gegenseitig vorrechnen, was man mit fünf beziehungsweise acht Euro im Monat machen kann. Das ist Almosenarithmetik. Nicht die Armen sind würdelos, sondern die Zyniker, die sich an ihr delektieren und weder Charakter noch Haltung besitzen, um sich dem wahren Problem zu widmen.
