Warum Tyrannen nicht weichen

Warum, so werden sich viele fragen, ist es für den Präsidenten Mubarak so schwer, sich aus seinem Amt zu verabschieden, obwohl doch Hunderttausende, wenn nicht sogar Millionen laut protestierend durch Kairos, Alexandrias und Luxors Straßen laufen, ihre Verachtung für diesen Mann zum Ausdruck bringend, in dem sie mit Schuhen winken? Hat er nicht genug Macht und Ansehen in seinem Leben genossen, hat er nicht Unsummen – man redet von 40 Milliarden Dollar – ins Ausland geschafft? Was will ein Mann, der das achte Lebensjahrzehnt hinter sich hat, denn noch erreichen? Welcher Lohn steht bereit für einen, der alles hat?

Zum Verständnis des als störrisch erscheinenden Noch-Premiers Ägyptens kann gereichen, dass er nicht der erste Herrscher und Tyrann ist, der sich schwer tut, den richtigen Zeitpunkt für den eigenen Abgang zu finden. Die vor ihm sind sogar Legion, seit den Erzählungen aus der Bibel, den Suren des Koran, seit den Annalen der chinesischen Kaiser und seit der Antike und den Tagen Roms gab es immer wieder diese gewaltsamen Herrscher, die anscheinend selbst in einem Alter, das der Weisheit vorbehalten ist, durch Brutalität und Engstirnigkeit glänzten.

Und auch in unseren Tagen, das heißt, in der so genannten jüngeren Geschichte haben wir genügend Namen im Gedächtnis, die uns auf das Phänomen der martialischen Herrschaft und den Willen der Unsterblichkeit hinweisen: Indonesiens Soeharto, Marcos von den Philippinen, Duvalier aus Haiti, Saddam Hussein aus dem Irak, aber auch Spaniens Franco, Chiles Pinochet, Ugandas Idi Amin, Zaires Mobutu und viele mehr. Allein beim Schreiben dieser Namen durchläuft den Autor ein Schauder und gleichzeitig wird das Gedächtnis wach, da sich laufend neue Namen melden, die dem Kriterium entsprächen.

So müssen wir gar nicht erst so tun, als handele es sich bei dem, was wir in Ägypten momentan erleben, um etwas Neues oder Einzigartiges. Wir sind konfrontiert mit einem Phänomen, das zur Typologie von Herrschaft gehört wie vieles andere. Das Verwunderliche für Beobachter aus Demokratien ist das Unverständnis derer, um die es sich handelt, dass die Zeit der Herrschaft vorbei ist. Während in Demokratien der Gedanke der Machtausübung immer an eine zeitliche Limitierung gebunden ist, sind in Strukturen absoluter Macht aus der inneren Befindlichkeit heraus keine Grenzen vorgesehen.

Ein anderes, noch wesentlicheres Motiv der absoluten Herrscher ist ein intrinsisches. Von der Typologie her eignen sich für das Dasein von Autokraten nur autoritäre Charaktere. Ihr Wesen ist in der Regel definiert durch die Möglichkeit unbegrenzten Waltens, und sie definieren sich selbst ausschließlich über die Fülle der Macht. Je mehr sie davon haben, desto bedeutender, je weniger, desto unbedeutender fühlen sie sich. Beobachten wir, selbst bei mächtigen Präsidenten aus Demokratien, dass diese durchaus noch anderen Neigungen nachgehen und Kompetenzen pflegen, die sie für die Machtausübung gar nicht benötigen, aber für ihre zweite, bürgerliche Existenz als sinnstiftend wichtig erachten, so weisen absolute Herrscher dieses fast nie auf. Herrschaft auf Zeit zwingt zu personaler Vielfalt, ewige Herrschaft verdammt zu Monotonie und Monomanie. Deshalb treten sie nicht freiwillig ab, die Tyrannen. Und deshalb ist die Demokratie ein Modell der Zukunft!