Sternstunden am Nil

Wenn Regierungen stürzen, lässt das nur in seltenen Fällen die Gemüter kalt. Dort, wo die Umwälzung stattfindet schon gar nicht, und aus der Ferne wissen wir spätestens seit Goethe, dass nichts trefflicher geraten, als nach einem Sonntagsbraten beim Spaziergang zu beraten über den Krieg in der Türkei. Manchen, so könnte man hinzufügen, fördert die Unruhe in anderen Ländern gar die Verdauung, andere wiederum flößt sie großes Unbehagen ein, weil sie generell den Gedanken eines Volksaufstandes unerträglich finden.

In Kairo, dem Ort, an dem zur Zeit Hunderttausende auf den Straßen sind, um eine verhasste Regierung fortzujagen, ist das Gefühl am intensivsten, weil es in vielen Fällen schlicht um Sein oder Nichtsein geht. Wer aufsteht gegen ein autoritäres Regime, der hat seine Protektion und Sicherheit aufgegeben. Diese Menschen sind mutig und sie haben, um eine Formulierung aus der globalisierten Welt zu gebrauchen, den Tipping Point überschritten. Es handelt sich dabei um den kritischen Punkt, der die Abwägung zwischen Risiko und Nutzen bezeichnet. Menschen, die diesen Punkt passiert haben, räsonieren nicht mehr über sich selbst. Ihnen geht es nur noch um ihr Ziel und der Nachwelt erscheinen sie nicht selten als Märtyrer.

Eine andere Seite von Revolten sind die in unseren herzlosen Zeiten genannten Kollateralschäden. Um das politische Ziel zu erreichen, setzen Herrschende wie Aufständische nicht selten gewaltsame Mittel ein. Dabei geht mitunter einiges zu Bruch: mal brennt das Parlament, mal sind es Kaufhäuser, die geplündert werden, mal Villenviertel und mal Museen. Vor allem dort, wo die Armut groß ist, gehören Plünderungen zur politischen Unruhe, was nicht verwundert, eröffnen sie doch die Möglichkeit, für einen wenn auch kurzen Zeitraum der dringendsten Nöte entbunden zu sein. Menschlich ist das verständlich, politisch trägt es in der Regel zu der schlechten Referenz von Revolutionen bei, denn mit den Plünderungen wächst das Attribut der Zerstörung.

Aber auch Herrscher haben es bei Auseinandersetzungen durchaus vermocht, großen Schaden zu hinterlassen, wenn sie absehen konnten, dass ihre Sache verloren war. Dann folgten sie nicht selten dem Prinzip der verbrannten Erde und zerstörten alles, was den Rebellen hätte nützlich sein können.

Gegenwärtig, in Kairo, ist es noch nicht entschieden, wie der Kampf zwischen verbittertem Volk und knochenhartem Herrscher ausgehen wird. Angesichts der Machtstruktur in Ägypten ist es klar, dass die Seite, zu der sich das Militär gesellen wird, auch die Oberhand gewinnt. Momentan, so sagt man, verhält sich das Militär noch neutral und beobachtet die Auseinandersetzungen zwischen Volk und Polizei. Jedoch hat das Militär eigentlich schon Partei ergriffen, denn vor dem Ägyptischen Museum, in dem unschätzbare Werte für Menschheit wie Volk geborgen sind, stehen waffenstarrend Soldaten und Panzer, um sie zu schützen. Das ist ein Bekenntnis zum Volk, wie es schöner nicht zum Ausdruck gebracht werden kann!