Die oft zitierte Zeile Hölderlins hat in vielerlei Hinsicht einen Abnutzungsgrad erreicht, was nicht an der spirituellen Kreativität des Autors liegt. Immer, wenn die rationale Analyse nach einem Desaster schwer fällt, wird der deutsche Gigant einer Poesie bemüht, die ihre Kreativität aus den unbegrenzten Speichern von Verzweiflung und Einsamkeit bezog. Wenn politische Parteien gar Hölderlin bemühen, wird es meist sogar peinlich. Aber darum geht es nicht. Erstens hat dieses keine Partei nach der Wahl gemacht und zweitens trifft die Unbegrenztheit des Neuanfangs auch gar nicht auf die deutsche Politik nach der Wahl zu. Bis auf eine Ausnahme!
Mit der Bestätigung der Bundeskanzlerin durch eine neue Koalition unter Miteinbeziehung der Liberalen wird sich die Politik nicht grundsätzlich ändern. Der Begriff der Leistung wird mehr bemüht, der der Gerechtigkeit kaum noch erwähnt werden, was das Regierungslager anbetrifft. Deutlich ist aber auch, dass die Kanzlerin ihre eigene Sozialdemokratisierung nicht ablegen wird, weil sie weiß, dass sie sonst dem sicherlich wachsenden Druck auf der Straße nicht wird standhalten können. Und ein neuer Vizekanzler wird sich hüten, als puristischer Neoliberalist oder exklusiver Vertreter der Apothekervereinigung aufzutreten. Ein Retro des alten FDP-Profils brächte ein promptes Zurückschnellen bei der Wählergunst. Interessant kann die Kombination von Kanzlerin und Vizekanzler dadurch werden, als dass sich der Wille zur schnellen Aktion und der Instrumentalisierung des Phlegma als Mittel der Politik eigentlich ausschließen beziehungsweise Psychoströme freisetzen wird, die es in sich haben können.
Linke und Grüne sahen sich und ihre Politik durch die Wahlergebnisse bestätigt und werden sich daher wohl kaum dazu bemüßigt fühlen, ihre politische Programmatik auf den Prüfstand zu stellen. Die einzige Partei, die dazu verurteilt ist, die Wechselbank vor dem eigenen Haus zu zerschlagen und ein klagevolles Bancarotta in den Himmel zu schreien, ist die SPD. Sie erlebt im Moment nicht nur ihr historisches Tief, sondern sie ist in ihrer historischen Form am Ende. Entstanden als Machtzentrum der Unterdrückten und Mittellosen, hat sie eine lange Entwicklung der Emanzipation durchlaufen und ihre kritischen Reibungen immer in dann erlebt, wenn sie in der Regierungsverantwortung war. Dann schlugen sofort die bedingten Reflexe der Strukturopposition im eigenen Lager aus und es tat der Partei nie gut, wenn sie Dinge mitgestaltete, die aus Sicht vieler nie die Dinge der Entrechteten sein konnten.
Die historische Chance der SPD besteht darin, den immer wieder stechenden Widerspruch aufzulösen, d.h. sich als Gestaltungskraft zu etablieren, die Verantwortung für die Zukunft eines ganzen Landes übernimmt ohne das ständige Gejaule der vermeintlichen Underdogs. Es besteht aber ebenso die Möglichkeit, dass diese Partei sich in einer nostalgischen Gemütsbewegung denjenigen zuwendet, die aus historischen Prozessen prinzipiell nichts lernen wollen. Dann wäre das Ende jedoch schneller manifest, als es die Witwe Brandt bereits vor einem Jahr prophezeite. Das große Portal des Anfangs wird dann wohl der ebenso viel zitierte Eingang in die Unterwelt werden.
